Ist Gendern inklusiv?

eine Erörterung von Jascha Eliano und Dshamilja Aimée Paetzold

Artikel herunterladen

Sie können diesen Artikel als PDF-Datei herunterladen.

Download

In der Debatte ums Gendern positioniert sich häufig das Argument, Gendern sei unästhetisch und würde die Sprache "verhunzen" gegen das Argument, Frauen würden sich durch das generische Maskulinum nicht angesprochen fühlen.

Wir halten Sprachästhetik und Schönheit der Sprache genauso für eine Gewöhnungssache, wie mit welchen Wörtern sich jemand angesprochen fühlt. Daher soll es in diesem Text ausschließlich um die Folgen gehen, die die Einführung gegenderter Sprechweisen für Frauen, für Nichtbinäre und die Gleichberechtigung an sich hat. Dabei bewahren wir einen konstruktiven Blickwinkel und versuchen im zweiten Abschnitt, für alle gefundenen Kritikpunkte eine Lösung zu finden.

Kritik am Gendern: Wie gegenderte Sprache mit feministischen Idealen bricht

Unsere Gesellschaft teilt Menschen schon sehr lange in Geschlechterkategorien ein. Dafür schuf sie genaue Rollenbilder, die definierten, welche Aufgaben Menschen mit einem bestimmten Geschlecht zufielen; so sah man die Rolle der Frau eher im Haushalt, während Männer fürs Erwerbseinkommen zuständig waren. Bis heute werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zugesprochen: Frauen seien zum Beispiel eher emotionaler und verständnisvoller, während Männer rationaler und durchsetzungsfähiger seien.

Inzwischen werden diese Rollen immer mehr aufgebrochen: Frauen sind aus der Berufswelt nicht mehr wegzudenken, Männer tragen inzwischen Röcke. Andere wissen mit den sozialen Kategorien "weiblich" und "männlich" überhaupt nichts mehr anzufangen, und wollen sich unabhängig von Geschlechterkategorien entfalten. Da sich letztere nicht in die binäre Einteilung "männlich" und "weiblich" einordnen, werden sie auch "nichtbinär" genannt.

Die Entwicklung, dass Geschlechterrollen zunehmend irrelevant werden, ist sowohl aus feministischer als auch aus humanistischer Perspektive zu begrüßen. Nichts entspricht stärker dem Geist unseres Grundgesetzes, nach dem Menschen unabhängig von ihren Äußerlichkeiten betrachtet werden sollen. Leider scheitert diese Entwicklung oft an der Sprache.

Während die englische Sprache zunehmend auf geschlechtsbezogene Wörter verzichtet, kommt im Deutschen eine Sprache in Mode, die diese sozialen Geschlechterkategorien betont. Statt alle Menschen mit demselben Wort zu bezeichnen, wird von "Bürgerinnen und Bürgern" gesprochen, oder kurz, von "Bürger*innen". Letztere Formulierung bemüht sich zwar darum, Menschen, die sich nicht einordnen wollen, über das "*" Respekt zu zollen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie zwischen "Bürgern" (männlich) und "Bürgerinnen" (weiblich) unterscheidet: Angehörige verschiedener Geschlechter werden anders benannt und damit sprachlich ungleich behandelt. In welche Geschlechterkategorie eine Person eingeordnet wird, bestimmt ihren Titel.

Man mag diesen Einwand für spitzfindig halten, dieser Text soll allerdings die praktischen Konsequenzen dieser Unterscheidung vor Augen führen. Vor allem soll dieser Text die Frage aufwerfen, ob die positiven Eigenschaften der gegenderten Sprache, die neu eingeführt wird, diese negativen Konsequenzen überhaupt überwiegt. Gegenderte Sprache soll oft mit dem Argument eingeführt werden, sie sei inklusiv, würde also zu mehr Einbeziehung von Frauen und Nichtbinären führen. Dieses Argument stellt dieser Text infrage.

"Frauenverkleinerung": Frauen spielen in einer Extra-Liga

Wenn Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht bewertet werden, bedeutet das, dass Menschen aller Geschlechter miteinander verglichen werden können: Zum Beispiel kann eine Frau nicht nur kompetenter als andere Frauen sein, sondern auch kompetenter als Männer oder Nichtbinäre. Es ist wichtig, ihnen diesen Vergleich zuzugestehen.

Wenn das Geschlecht allerdings den Titel eines Menschen bestimmt, führt das unweigerlich zu Formulierungen, die diesen Vergleich ausschließen: Mit unterschiedlichen Titeln spielen Menschen in unterschiedlichen Ligen.

Eine amerikanische Tageszeitung schrieb vor ein paar Jahren: "Angela Merkel is the leading politician of the Western world". Im Deutschen wurde dieses Zitat oft wie folgt übersetzt: "Angela Merkel ist die führende Politikerin der westlichen Welt".

Im Vergleich mit der englischen Originalformulierung fällt auf: Wenn Angela Merkel die führende Politikerin ist, kann es immer noch einen führenden Politiker geben – die Formulierung lässt völlig offen, ob der nicht vielleicht sogar viel führender ist als Merkel. Hätte man das Zitat mit "Angela Merkel ist der führende Politiker der westlichen Welt" übersetzt, wäre wie in der englischen Formulierung klar gewesen, dass Merkel von allen Politikern – männlich wie weiblich – die führende Position inne haben soll. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte Dorothea Wendebourg die Übersetzung von "politician" nach "Politikerin" daher "frauenverkleinernd".

Informationelle Selbstbestimmung: Die Schattenseiten der Sichtbarmachung

Häufig wird als Argument für gegenderte Sprache der Effekt der "Sichtbarmachung" vorgebracht: Durch die "‑innen"-Endung werde das, was Frauen in unserer Gesellschaft leisten, erst sichtbar, und dies sei für die Emanzipation der Frau notwendig.

Es kann zu Recht behauptet werden, dass Sichtbarmachung ein wichtiges Werkzeug emanzipatorischer Bewegungen gewesen ist. So spielte das Konzept der "Sichtbarkeit" als Mittel der Emanzipation beispielsweise in der Homosexuellenbewegung des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, und legte in der Tat den Grundstein für die Durchsetzung gesellschaftlicher Akzeptanz Homosexueller. Denn bevor man politisch für Homosexuelle wirken konnte, musste zunächst überhaupt ein Bewusstsein geschaffen werden, wie viele Menschen homosexuell veranlagt sind, und dass es sich nicht, wie die breite Gesellschaft damals annahm, um eine Krankheit mit ein paar bemitleidenswerten Betroffenen handelt. Die Sichtbarmachung geschah in der Regel über Proteste und Streiks, sowie über Medienerzeugnisse und das Coming-Out berühmter Persönlichkeiten. Bis heute gilt der Christopher-Street-Day als wichtiger Symboltag für die Sichtbarkeit von Homosexuellen und anderen LGBTQ+-Personen.

Sichtbarmachung in Form von Markierung von Angehörigen einer diskriminierten Gruppe kann allerdings auch ein zentrales Mittel der Ausgrenzung dieser Gruppen sein: Um Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit in allen Bereichen des Lebens diskriminieren zu können, muss die Gruppenzugehörigkeit in allen Bereichen sichtbar sein. Deshalb markierten viele diskriminierende Systeme die Angehörigen der diskriminierten Gruppen: Damit die Gruppenzugehörigkeit einer Person schon auf dem Papier sichtbar ist, erfassen viele diskriminierende Systeme die Gruppenzugehörigkeit in zentralen Registern (so z. B. im "Rassenregister" des Nationalsozialismus). Das chinesische Unternehmen Huawei entwickelte eine Software, die Uiguren automatisch auf Bildern erkennen und so digital sichtbar machen können soll. Wenn die Gruppenzugehörigkeit einem nicht im persönlichen Kontakt angesehen wird, machen diskriminierende Systeme sie sogar physisch sichtbar, um unterscheiden zu können. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte der "Judenstern" sein, den Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus öffentlich tragen mussten, um als Juden erkennbar zu sein.

Wenn Sichtbarmachung also ein Mittel der Unterdrückung diskriminierter Gruppen sein kann – wie konnte die Sichtbarmachung der Homosexuellenbewegung emanzipatorisch wirken? Was unterscheidet die emanzipatorische Sichtbarkeit von der ausgrenzenden?

Ein wichtiger Grundsatz der Sichtbarkeit Homosexueller im emanzipatorischen Sinne war immer, dass die Sichtbarkeit selbstbestimmt ist. Die Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Christopher-Street-Day ist für keinen Homosexuellen verpflichtend. Wer als Homosexueller am Christopher-Street-Day hingegen teilnimmt, muss seine Homosexualität dadurch noch lange nicht in anderen Bereichen sichtbar machen – seinem Arbeitgeber oder seinen Kollegen gegenüber kann er seine Gruppenzugehörigkeit, wenn er möchte, verschweigen. Sie ist Privatsache, und die Entscheidung darüber, wem er sie kommuniziert, obliegt ihm selbst.

Auf diese Weise wirkt die Sichtbarkeit emanzipatorisch: LGBTQ+-Menschen werden wahrgenommen wie alle anderen, weil ihre sexuelle Orientierung gesellschaftlich keinen Stellenwert einnehmen muss. Wer nicht will, dass sein LGBTQ+-Status sichtbar ist, lässt ihn unsichtbar. Wer sich hingegen dem Aktivismus verschreibt, bringt das Opfer der Sichtbarkeit, und riskiert – selbstbestimmt – aufgrund dessen anders behandelt zu werden.

Wie verhält es sich bei der Sichtbarkeit durch Gendern? Handelt es sich hier um selbstbestimmte Sichtbarkeit oder um eine unfreiwillige Markierung?

Bei der geschlechtsbezogenen Sprache handelt es sich um eine unfreiwillige Markierung, sobald von anderen Personen gesprochen wird, als nur von einem selbst. In solchen Fällen kann die Sprache das Geschlecht in Bereichen sichtbar machen, in denen es vorher nicht sichtbar war – so ist zum Beispiel in schriftlicher Kommunikation wie über Brief, E-Mail oder Social Media kein biologisches Geschlechtsmerkmal ersichtlich. Das Geschlecht wird hier erst durch die Sprache markiert, möglicherweise gegen den Willen der Person, über die gesprochen wird. Auch dann, wenn das Geschlecht keine Rolle spielt.

Das ist ein Unterschied zu anderen Gruppeneinteilungen: Niemand käme auf die Idee, von einem "homosexuellen Bäcker" zu reden, solange dessen sexuelle Ausrichtung nicht relevant ist. Das wäre grenzüberschreitend, da es eine fremdbestimmte Markierung wäre. Von einer "Bäckerin" hingegen spricht man, ohne mit der Wimper zu zucken.

Adjektive wie "weiblich", "männlich", "nichtbinär", "homosexuell", "dunkelhäutig" oder "muslimisch" dienen genau zu diesem Zweck: entscheiden zu können, welche Eigenschaften relevant sind und genannt werden müssen – und welche nicht. Sie dienen der Kenntlichmachung einer einzelnen Eigenschaft, die immer eine von vielen ist und niemals ein gesamtes Individuum ausmacht.

Dieses Problem war natürlich schon vor dem Gendern da: Schon bevor Politiker und öffentlich-rechtliche Fernsehsender anfingen, von "Zuschauer*innen" zu sprechen, ist es üblich gewesen, eine einzelne Frau nicht als "Zuschauer" zu bezeichnen, sondern als "Zuschauerin", und damit ihr Geschlecht zu markieren. Vor diesem Hintergrund macht die Bezeichnung von Gruppen als "Zuschauer*innen" keinen Unterschied: Hier werden nicht einzelne Frauen markiert, sondern nur die ohnehin schon übliche Geschlechtsmarkierung in die Gruppenbezeichnung aufgenommen. Die Bemühungen, gegenderte Sprechweisen durchzusetzen, machen allerdings bei Gruppenbenennungen nicht Halt.

So fordert beispielsweise die Stadtverwaltung Köln in ihren Praxistipps für eine geschlechterumfassende Sprache ihre weiblichen Mitarbeiter dazu auf, auf geschlechtsbetonende Formulierungen wie "Ich bin eine, die..." (statt "ich bin jemand, der") oder "Ich bin eine Verfechterin von..." (statt "Ich bin ein Verfechter von...") umzusteigen, wenn sie von sich selbst sprechen. Auf diese Weise haben Frauen keine Möglichkeit mehr, ihre Geschlechtsidentität in Schriftsätzen und anderen Kommunikationsmitteln unthematisiert zu lassen. Gegenderte Sprache gilt seit diesem Jahr in Köln offiziell als "Amtssprache". Je nach Situation zwingt der Arbeitgeber die Angestellten auf diese Weise dazu, ihr Geschlecht der Öffentlichkeit preiszugeben.

Während sich die meisten Frauen und Männer mit den entsprechenden biologischen Merkmalen ohnehin spätestens im persönlichen Kontakt einer Einordnung als "weiblich" oder "männlich" nicht mehr entziehen können, sind nichtbinäre Personen von geschlechtsbezogener Sprache gesondert betroffen: Ein Geschlecht abseits der Kategorien "weiblich" und "männlich" zu haben, gilt in den wenigsten Bereichen als Norm und führt in vielen Bereichen mindestens zu Verwirrung. Entsprechend dauert es oft eine Zeit, bevor sich Nichtbinäre überhaupt im engeren Freundeskreis outen. Nun müssen sie sich allen offenbaren: Arbeitgebern, Ämtern und Bildungsstätten. Denn während es bislang völlig in Ordnung gewesen wäre, eine nichtbinäre Person so wie alle anderen auch als "Bürger" zu bezeichnen, sollen sie nun mit einem Asterisk (*) markiert werden.

Das Recht, über die Sichtbarkeit von personenbezogenen Informationen selbst zu bestimmen, heißt "Recht auf informationelle Selbstbestimmung". Es gilt als so wichtig, dass es, obwohl es nicht explizit im Grundgesetz erwähnt wird, vom Bundesverfassungsgericht als Teil des Persönlichkeitsrechts anerkannt wurde und daher grundrechtlich geschützt ist. Darüber, ob solche Vorschriften zur gender-bezogenen Sprache grundrechtswidrig sind, existieren bislang keine Urteile.

Gendern bietet in puncto freiwillige Sichtbarkeit keinen Mehrwert, da freiwillige Sichtbarkeit immer über Adjektive erfolgen kann. Stattdessen setzt es die unfreiwillige Sichtbarkeit (Markierung) des weiblichen Geschlechts fort, und führt eine Markierung von Nichtbinären ein. Es wird die Situation für Frauen und Nichtbinäre sogar dahingehend verschlechtert, dass die Markierung des Geschlechts in vielen Bereichen aktiv verlangt und sogar vorgeschrieben wird.

Bedeutungsverschiebung: Wie Gendern Frauen und Nichtbinäre ausschließt

Es geht bei der Frage, ob wir gendern wollen, nicht nur darum, wie wir selbst Sprache benutzen. Es geht auch um die Frage: Welche Bedeutung soll zukünftig ein Wort ohne "‑innen"-Endung haben? Wenn zukünftig jemand sagt "Du solltest zum Arzt gehen", soll das dann bedeuten, dass der Arzt auf jeden Fall männlich ist?

Der Duden hat hierauf eine einfache Antwort gefunden: Dieses Jahr aktualisierte er seine Online-Ausgabe so, dass nach den dortigen Definitionen z. B. ein "Arzt" nicht mehr weiblich oder nichtbinär sein kann, sondern nur noch eine "männliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln".

Dass der Duden diese Änderung in einer Zeit durchführt, in der die gegenderte Sprache in den Medien eine starke Verbreitung gefunden hat, ist nicht einfach nur Zufall oder eine Tageslaune einer gelangweilten Duden-Redaktion. Der Duden hat das gemacht, weil beim Gendern nur noch Männer mit diesem Wort bezeichnet werden: Formulierungen wie "Ärztinnen und Ärzte" implizieren, dass das Wort "Arzt" nur Männer bezeichnen kann. Das sorgt dafür, dass das Wort "Arzt" eine Bedeutung bekommt, die Frauen und Nichtbinäre vollständig ausschließt.

Das ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, ob Gendern in der Summe inklusiv wirkt. Bisher legten Studien bereits nahe, dass das generische Maskulinum eher männlich als geschlechtsneutral wahrgenommen wird, die Unterschiede betrugen dabei ein paar Prozentpunkte. Wenn Gendern dazu führt, dass Wörter wie "Arzt" oder "Bürger" nur noch als männlich wahrgenommen werden, während diese Wörter weiterhin in einem Großteil der Sprache geschlechtsneutral genutzt werden – weil z. B. der Großteil der Menschen weiterhin so spricht, weil Zitate aus der Vergangenheit nicht nachträglich gegendert werden können und ein gegendertes Grundgesetz nicht mehrheitsfähig ist – würde es in Bezug auf diesen Teil der Sprache Frauen und Nichtbinäre ausschließen und nicht einschließen.

Kann eine Veränderung im Sprachgebrauch wirklich die Bedeutung von Wörtern verändern?

Nach Betrachtung der modernen Linguistik ist die wahrgenommene Bedeutung eines Wortes (Signifikat) nicht festgesetzt und wohnt dem Wort selbst (Signifikant) nicht inne: Die Beziehung zwischen einem Ausdruck und seiner Bedeutung ist arbiträr, das heißt beliebig und ohne notwendigen Zusammenhang. Welche Bedeutung wir tatsächlich mit einem Wort verbinden, ergibt sich dabei in der Regel darüber, wie unser Umfeld dieses Wort benutzt.

Wer in Bayern aufwächst, wird unter einem "Pfannkuchen" einen dünnen Teiglappen verstehen, der in der Pfanne zubereitet und sowohl süß als auch herzhaft genossen wird. Wer hingegen in Berlin aufwächst, verbindet mit demselben Wort ein rundes Gebäck mit Marmeladenfüllung, das der Bayer als "Krapfen" bezeichnen würde.

Was ein Wort für uns bedeutet, kann sich beliebig ändern, wenn sich der Sprachgebrauch in unserem Umfeld ändert. Das passiert etwa, wenn jemand in eine neue Gegend zieht, wo ein Wort anders benutzt wird: Auch wenn er selbst seinen Sprachgebrauch nicht an die neue Gegend anpasst, beginnt der Bayer nach einer Zeit instinktiv zu verstehen, dass der Berliner einen "Krapfen" meint, wenn er von einem "Pfannkuchen" spricht. Welche Bedeutung wir mit einem Wort verbinden, kann sich also auch dann ändern, wenn wir selbst unseren Sprachgebrauch nicht anpassen – es reicht, wenn unser Umfeld das tut.

Wie groß ist der Anteil der Sprache, auf den sich die Bedeutungsverschiebung auswirkt?

Wie wir gerade festgestellt haben, können Menschen auch dann die Wahrnehmung der Bedeutung an ihr Umfeld anpassen, während sie selbst weiterhin so sprechen, wie sie es gewohnt sind. Es kann also sein, das das Gendern in Fernsehsendern und Online-Zeitungen zwar dazu führt, dass Menschen die Wörter so wahrnehmen wie im Duden beschrieben – also so, dass sie Frauen und Nichtbinäre ausschließen – sie aber trotzdem nicht so verwenden.

Die ausschließende Wirkung von gegenderter Sprache betrifft alle Formulierungen, die Wörter ohne "‑innen"-Endung geschlechtsneutral verwenden. Je nach Statistik lehnen 65 % - 75 % der Bevölkerung gegenderte Sprache ab. Nur 10 % der Befragten des Trendforschungsinstituts Infratest Dimap befürworten gegenderte Sprache "voll und ganz" (Tendenz: sinkend). Es ist davon auszugehen, dass Menschen, die das Gendern ablehnen, selbst nicht so sprechen werden. Dann würde die durchs Gendern ausgelöste Bedeutungsverschiebung dazu führen, dass in der Umgangssprache ein Sprachgebrauch überwiegt, der Nichtbinäre und Frauen noch stärker ausschließt, als es jemals der Fall war.

Aber Sprache besteht nicht nur aus Umgangssprache. Die Bücher in den Bibliotheken, die Gesellschaftsspiele im Regal und die Rezepte aus Omas Sammlung werden sich nicht einfach ändern, nur weil in der Tagesschau jetzt gegendert wird.

Nicht nur auf die herkömmliche, "ungegenderte" Sprache wirkt sich die Bedeutungsverschiebung aus: Selbst die, die sich der gegenderten Sprache verschrieben haben, kommen bislang in der Regel nicht ohne das generische Maskulinum aus.

Besonders auffällig ist, dass häufig da, wo bereits Geschlechtervorurteile bestehen, vergessen wird, zu gendern; dann, wenn Autoren Frauen und Nichtbinäre nicht mitdenken, werden sie in der gegenderten Sprache ausgeschlossen. Beispiele dafür finden sich immer wieder in der Tagesschau oder in gegenderten Parteiprogrammen. So spricht das Wahlprogramm der Volt-Partei zur Europawahl 2019 von "Bürger*innen" und "Wähler*innen", fordert dann aber eine "Wirtschafts- und Währungsunion unter Leitung eines europäischen Finanzministers". Hätte es von Anfang an von "Wählern" und "Bürgern" gesprochen, wäre diese Formulierung vollständig unproblematisch – wäre beim Leser doch die Erwartung entstanden, dass Wörter ohne "‑innen"-Endung in diesem Manifest geschlechtsneutral zu verstehen sind. Vermutlich unbeabsichtigt wird hier aber kommuniziert: Von Frauen und Nichtbinären lassen wir uns gerne wählen – als Finanzminister können wir uns aber nur einen Mann vorstellen.

Gendern wird niemals inklusiv sein

Man mag solche Fälle für die Anfangsschwierigkeiten einer neuen Sprechweise halten, die nach etwas Gewöhnungszeit verschwinden. Irgendwann würden solche Ausfälle unterbleiben und das generische Maskulinum vollständig aus der Sprache entfernt sein. Es könnte aber auch sein, dass das sogenannte generische Maskulinum als Grundform der meisten funktionsbezeichnenden Wörter so tief in der deutschen Sprache verankert ist, dass es immer darin enthalten bleiben wird.

Am meisten Erfahrung im Gendern dürften die Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben. Seit 1990 gendern die Grünen in Anträgen mit dem Binnen-I (also "BürgerInnen"), die SPD schon seit 1989 in Verwaltungsdokumenten. Gelingt es ihnen mit über 30 Jahren Erfahrung, in ihren Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2021 auf das generische Maskulinum zu verzichten?

Bei den Grünen fällt auf, dass sie vergleichsweise konsequent gendern: So finden sich Wörter wie "anwohner*innenfreundlich", "Erzeuger*innengemeinschaften" oder "Unternehmer*innengeist" in ihrem Wahlprogramm. Daneben gesellen sich allerdings Ausdrücke wie "Judenfeindlichkeit", "Genossenschaften" oder "Partnerschaft" und Adjektive wie "benutzerfreundlich", "pflegerisch" und "therapeutisch". Insbesondere bei Digitalgeräten scheinen sich die Grünen nur auf Männer zu fokussieren; so werden nur "Nutzerdaten" geschützt, vermutlich, weil es auch nur "Nutzerrechte" gibt. Ob Nichtbinäre und Frauen wohl keine digitalen Geräte benutzen, oder bei den Grünen einfach nur keine Rechte haben?

Bei der SPD ist ebenfalls gerade zu Beginn des Programms auffällig, dass vor allem Wörter wie "Bürger" gegendert werden. Im Laufe des Programms lässt die Genderfreude aber nach: So fordert die Partei eine "Bürgerversicherung", den Schutz von "Patientendaten" und einen "bürgernahen Staat". Auch bei der SPD sollen "Nutzerdaten" geschützt werden.

Insbesondere der Satz "Nutzerdaten müssen geschützt sein und die Nutzer*innen müssen darüber bestimmen können, was mit ihren Daten geschieht." lässt vermuten, dass bei der SPD bewusst die Regel eingeführt wurde, zusammengesetzte Wörter grundsätzlich im generischen Maskulinum zu belassen.

Wie unrealistisch es ist, dass das generische Maskulinum aus der Sprache verschwinden wird, fällt vor allem auf, wenn man bedenkt, dass auch Wörter wie "Wirtschaft" und "künstlerisch" gegendert werden müssten: "Wirt*innenschaft" und "künstler*innenisch". Denn wenn die selben Texte Wörter wie "Künstler*innen" oder "Betriebswirt*innen" benutzen, dann aber Wörter wie "künstlerisch" oder "Wirtschaft" verwendet werden, führen erstere Wörter dazu, dass Frauen und Nichtbinäre aus zweiteren ausgeschlossen werden. Auch sprechen die meisten Parteien von "Bürgermeisterkandidat*innen" – und nicht von "Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen". Ob sie letzteres jemals auf einen Aushang drucken lassen werden, ist fraglich.

Gendern führt nur zur Einbeziehung von Frauen und Nichtbinären in die gegenderte Sprache selbst. Wenn gegenderte Sprache allerdings an die Grenzen ihrer Ausbreitung stößt – sei es, weil die Menschen das Gendern ablehnen oder weil selbst davon Überzeugte nicht konsequent gendern, weil es schlichtweg nicht praktikabel ist –, dann führt sie im Rest der Sprache zum Ausschluss. Wie wir festgestellt haben, ist dieser Rest der Sprache überwältigend groß – und es ist davon auszugehen, dass er auch in Zukunft größer bleibt als der Teil der Sprache, der gegendert wird. Entsprechend wirkt Gendern überwiegend ausschließend. Die Bezeichnung "inklusive Sprache" ist daher irreführend.

Unser Vorschlag für eine wirklich inklusive Sprache

Männliche Assoziationen sind nicht gottgegeben

Dass Wörter wie "Bürger", "Arzt" oder "Lehrer" im Deutschen geschlechtsneutral verwendet werden, ist den meisten bekannt und wird auch von Gender-Befürwortern nicht geleugnet. Stattdessen wird oft behauptet, die Wörter würden zwar geschlechtsneutral verwendet werden, seien aber in ihrer Bedeutung nicht geschlechtsneutral.

Nach Betrachtung der modernen Linguistik ergibt sich die Bedeutung eines Wortes allerdings aus seiner Verwendung – Wörter, deren Bedeutung ihrer Verwendung widerspricht, sind also nicht möglich, weil das Wort erst durch die Verwendung in einem bestimmten Kontext seine Bedeutung bekommt. Die Bedeutung eines Wortes kann zwar vom Empfänger anders wahrgenommen werden als vom Sender gemeint, wenn der Empfänger einen anderen Sprachgebrauch gewohnt ist. Sobald dieses Missverständnis aber aufgeklärt ist, kann sich der Empfänger an den Sprachgebrauch des Senders gewöhnen.

Im allgemeinen Sprachgebrauch können Wörter ihre Bedeutungen auch rasant ändern. Das geschieht oft binnen weniger Jahre. Ein Beispiel dafür sind die Wörter "Frau" und "Fräulein": Dass eine Person mit "Frau" angeredet wurde, bedeutete früher, dass diese Person verheiratet war. In anderen Kontexten, in denen z. B. von "Frauen und Männern" gesprochen wurde, bezog das Wort "Frau" Unverheiratete hingegen ein – es handelte sich um eine Mischbedeutung (Polysemie).

Dadurch, dass man sich in den 1970er Jahren dazu entschied, das Wort "Frau" als Anrede für alle erwachsenen, weiblichen Personen zu verwenden, änderte sich seine Bedeutung: Es war nun in allen Kontexten unabhängig vom Ehestatus und Unverheirateten gegenüber in jeglicher Hinsicht inklusiv – und zwar, weil das Wort nun so verwendet wurde, und weil auf die Ansprache "Fräulein" verzichtet wurde. Man musste nicht auf die bisherige Mischbedeutung Rücksicht nehmen, denn die Bedeutung änderte sich durch die geänderte Wortverwendung, dank der das Wort "Frau" in den Köpfen der Menschen heute nur noch mit der inklusiven Bedeutung, die Unverheiratete einbezieht, verbunden wird.

Wenn man die Studien, nach denen generische Begriffe wie "Bürger" oder "Arzt" eher mit Männern assoziiert werden als mit Frauen, vor diesem Hintergrund betrachtet, kann man zu dem Schluss kommen, dass man auch hier nicht auf die bisherige Mischbedeutung Rücksicht nehmen muss. Vielleicht kann man durch seinen Sprachgebrauch dafür sorgen, dass Menschen diese Wörter nur noch mit der geschlechtsneutralen Bedeutung verbinden?

Wörter wie "Bürger", "Arzt" und "Lehrer" haben ebenfalls eine Mischbedeutung: In den meisten Kontexten sind sie geschlechtsneutral, und in bestimmten Kontexten beziehen sie sich nur auf das männliche Geschlecht. Je mehr diese Wörter geschlechtsneutral verwendet werden, desto geschlechtsneutraler wird ihre Bedeutung – und je mehr sie geschlechtsspezifisch benutzt werden, desto geschlechtsspezifischer werden sie (siehe Abschnitt Bedeutungsverschiebung). Die Empfehlung, diese Wörter nicht geschlechtsneutral zu verwenden, da ihre Bedeutung nicht geschlechtsneutral sei, ist also ein Zirkelschluss.

Das Maskulinum entgendern

So wie das Wort "Frau" dadurch inklusiv geworden ist, dass es plötzlich auch explizit für unverheiratete Frauen verwendet wurde, könnte auch das generische Maskulinum ausschließlich als inklusiv wahrgenommen werden, dadurch, dass man Frauen explizit damit benennt. Indem man Formulierungen verwendet wie "Sie ist Schauspieler" (statt "Sie ist Schauspielerin"), durchbricht man die Assoziationen, die die Wörter ohne "‑in"-Suffix mit Männern verbinden. Man sorgt dafür, dass das generische Maskulinum seine geschlechtsneutrale Bedeutung behält und auch immer so wahrgenommen wird.

Ein geschlechtsneutrales Maskulinum inkludiert Frauen und Nichtbinäre tatsächlich in die Sprache, die von den Leuten gesprochen wird – und nicht bloß in einen willkürlichen Teil der Sprache einer medienpräsenten Minderheit. Es kehrt den Sprachwandel des Genderns, der Frauen und Nichtbinäre aus dem Großteil der Sprache ausschließt, um. Es bewahrt die Privatsphäre der Geschlechtsidentität und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, indem keine Geschlechtsbezüge erzwungen werden – aber über Adjektive trotzdem selbstbestimmt möglich sind. Es macht Menschen aller Geschlechter miteinander vergleichbar. Es entspricht dem feministischen Grundsatz, dass Geschlechter sozial konstruiert sind und sich niemand mit den vorhandenen Geschlechterkategorien abfinden muss.

Ein inklusives, geschlechtsneutrales Maskulinum ist möglich – und realistisch!

Während die Vision, dass der gesamte Sprachgebrauch im Deutschen durchs Gendern inklusiv wird, nach 38 Jahren Bemühungen darum immer noch weit entfernt davon ist, Realität zu sein – nur noch mal zur Erinnerung: Gendern wird von 65 % - 75 % der Bevölkerung abgelehnt, und noch nicht mal von seinen Befürwortern konsequent praktiziert – gibt es mehrere historische Beispiele dafür, dass die oben genannte Bedeutungsänderung von männlich-generischen Mischbedeutungen in vollständig generische Bedeutungen funktioniert hat.

Geschlechtsneutrale Sprachentwicklungen in anderen Sprachen

Während noch im Mittelenglischen fast alle Wörter, die Funktionen von Menschen beschreiben, gegendert wurden – so sprach man im Falle einer Frau von neighboress, singeress, friendess, etc. – galten die meisten dieser geschlechtsspezifischen Formen für Frauen spätestens ab Anfang des 20. Jahrhunderts als veraltet. Inzwischen haben sich in fast allen Bereichen die Wörter, die vorher sowohl für Männer als auch generisch für alle Geschlechter benutzt wurden, als geschlechtsneutral durchgesetzt: neighbor, singer und friend.

In einzelnen Bereichen ist aber auch heute noch im Englischen ein Gendern über die Endung "ess" gebräuchlich. So unterscheiden viele Englischsprachige zwischen actor und actress. Inzwischen wird diese Unterteilung und die Endung "ess" allerdings immer häufiger als sexistisch kritisiert: Eine separate Endung für Frauen, die an die männliche Bezeichnung angehangen wird, impliziere, Frauen hätten einen Status geringerer Relevanz inne. Große Tageszeitungen wie der britische Guardian erwähnen explizit in ihren Stilrichtlinien, dass sie geschlechtsspezifische Bezeichnungen in solchen Fällen ablehnen und so z. B. im Falle von actor und actress die maskuline Form generisch verwendet werden sollte. Im englischsprachigen Feminismus verläuft die Debatte genau umgekehrt: Gendern wird als schädlich für die Geschlechtergerechtigkeit angesehen und es wird versucht, auch die letzten Überreste der ehemals gegenderten Sprache zu eliminieren. Weitere Sprachen, in denen geschlechtertrennende Sprache durch Inklusion von Frauen in die zuvor männlichen Bezeichnungen abgeschafft wurden, sind z. B. Schwedisch, Norwegisch und Dänisch.

Das geschlechtsneutrale Maskulinum im Deutschen

Auch im Deutschen gab es bereits, analog zu den anderen Sprachen, Bestrebungen, die "‑innen"-Endung abzuschaffen und Frauen in die Grundform der Wörter zu inkludieren: Bereits im 19. Jahrhundert wehrten sich Feministen gegen die geschlechtsbezogene Endung. Ein Resultat des Einsatzes der damaligen Feministen ist, dass bis heute an Frauen "Doktortitel" verliehen werden – und nicht etwa "Doktorinnentitel", wie es sich die damaligen Grammatikgelehrten gewünscht hätten. Letztere lehnten auch die Benennung gemischtgeschlechtlicher Gruppen mit dem generischen Maskulinum beispielsweise als "Arbeiter" ab – stattdessen forderten sie schon damals bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen die Doppelnennung, also "Arbeiter und Arbeiterinnen".

In der Abhandlung "Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der Renaissance bis zur Postmoderne" schreibt Sprachwissenschaftler Ursula Doleschal zur Position dieser Grammatikgelehrten:

"[...] in diesem Sinne sind m. E. die Reaktionen der Männer als Grammatik- und Sprachlehreschreiber zu verstehen: Frauen sollen nicht in männliche Domänen eindringen, was einfacher ist, wenn unter alle Bürger nur Männer verstanden werden können. Auch die Unterschiede in Entlohnung und Karrierechancen sind leichter zu begründen, wenn Arbeiter und Arbeiterin, Beamter und Beamtin 'scharf von einander getrennt' bleiben."

Eine Strategie der Sprachwissenschaftler war es, den Zustand, dass Frauen mit anderen Wörtern bezeichnet werden, als "gottgegeben" oder der Sprache einfach "innewohnend" festzusetzen. Eine andere Argumentationsweise war, das Genus eines Wortes (also "der", "die" oder "das") müsse im Deutschen in einem notwendigen Zusammenhang zum Geschlecht der beschriebenen Sache stehen – was angesichts der Fülle an Gegenbeispielen (die Person, die Autorität, der Gast, das Mitglied, alle Wörter auf "-ung" wie "Geschäftsführung", alle Wörter auf "-eit", wie "Heiligkeit", alle Wörter auf "-kraft" wie "Fachkraft" usw. usf.) klar widerlegbar ist.

Jedenfalls wurde die Fähigkeit der Wörter ohne "‑innen"-Endung, Frauen zu bezeichnen, von der Sprachwissenschaft bis ins 20. Jahrhundert geleugnet. Entsprechend setzte sich die explizite Bezeichnung von Frauen ohne die "‑innen"-Endung im Westdeutschland des 20. Jahrhunderts nicht durch.

Dass die Bezeichnung von Frauen mit Maskulinbegriffen allerdings auch im Deutschen funktionieren kann, zeigte zum Beispiel die DDR, deren Staatsideologie sich als fundamental auf einer Gleichheit aller Menschen unabhängig von Herkunft oder Geschlecht begründet verkaufte. Eine Diskriminierung zwischen Geschlechtern durch zwei verschiedene Wörter kam deshalb nicht infrage. Verwendet wurde grundsätzlich die Grundform der Wörter, auch bei Wörtern mit maskulinem Genus. In der Alltagssprache setzte sich das generische Maskulinum, auch dann, wenn explizit Frauen bezeichnet wurden (z. B. "sie ist Ingenieur") schnell durch.

Doch ist es heute, nachdem sich mit der Wiedervereinigung der in Westdeutschland tradierte Sprachgebrauch durchgesetzt hat, noch realistisch, dass dieser Sprachwandel wiederkehrt?

Entgendern des Maskulinums als Trend des 21. Jahrhunderts

Interessanterweise zeigte eine Studie im Jahr 2013 bei jungen Menschen die Tendenz, Begriffe ohne die "‑innen"-Endung wieder geschlechtsneutral zu verwenden. Anlass der Studie war die Beobachtung, dass nur die jüngste der drei weiblichen Autoren die Formulierung "Ich, als Linguist" verwendete – die beiden älteren hätten in jedem Fall die Formulierung "Ich, als Linguistin" verwendet. Bei der statistischen Untersuchung mit Probanden aus Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz stellten sie fest, dass die Bezeichnung von Frauen ohne "‑innen"-Endung keineswegs ein Einzelfall ist, sondern in der Umgangssprache junger Menschen zunimmt. Insbesondere ist auffällig, dass jüngere Frauen sich oft so selbst bezeichnen, während ältere Frauen bei der "‑innen"-Endung bleiben.

Wer sich in einer Kneipe mit jungen Leuten aufhält, wird bei aufmerksamem Lauschen feststellen, wie viele junge Frauen sich als "Raucher", "Zocker" oder "Autofahrer" bezeichnen. Möglicherweise findet in der Umgangssprache junger Menschen ein Sprachwandel statt, der in der Gender-Debatte oft ignoriert wird, die Zukunft aber entscheidend prägen könnte.

Dieser Sprachwandel kommt inzwischen auch im Feminismus und in der Medienöffentlichkeit an. Mai Thi Nguyen-Kim ist Chemiker, Autor und Wissenschaftsjournalist und betreibt den YouTube-Kanal "maiLab". In ihrem Video zum Thema gegenderte Sprache erklärt sie:

"Ich sage sogar manchmal 'Ich bin Chemiker' statt 'Ich bin Chemikerin', ohne jetzt groß darüber nachzudenken".

Eine geschlechtsneutrale Umdeutung der Begriffe ohne "innen"-Endung befürwortet sie offen:

"Am besten wäre meiner Meinung nach ein geschlechtsneutraler Ausdruck. Und den haben wir ja eigentlich schon, denn das ist in der deutschen Sprache der 'männliche' Plural. Sollten wir nicht lieber versuchen, einen männlich assoziierten Plural wie 'Wissenschaftler' in unseren Köpfen geschlechtsneutral zu machen?"

Im Jahr 2020 rief der Schriftsteller Nele Pollatschek im Tagesspiegel dazu auf, nicht mehr zu gendern und stattdessen auf die "‑innen"-Endung vollständig zu verzichten. Die Begründung:

"In einer Welt, in der innerhalb weniger Jahrzehnten aus 'Fräuleins' 'Frauen' wurden, können aus Frauen noch immer Menschen werden. Menschen, die Bücher schreiben, wir nennen sie dann Schriftsteller, Menschen die regieren, wir nennen sie dann Bundeskanzler, Menschen, die zu Gast sind, wir nennen sie dann Gäste. In dieser Welt würde ich sehr gerne leben".

Wir stellen also fest, dass Maskulinbegriffe im Deutschen bereits explizit für Frauen verwendet werden, und dass es Hinweise darauf gibt, dass diese Sprechweise insbesondere bei jungen Menschen erstarkt. Eine Sprachentwicklung, die Frauen und Nichtbinäre ins Maskulinum inkludiert, ist also nicht nur möglich – sie findet offenbar bereits statt.

Andere Lösungsansätze

Neben dem Gendern waren auch einige andere Vorschläge, das Problem mit dem generischen Maskulinum zu lösen, schon Teil öffentlicher Debatten. Hier soll nun verkürzt erklärt werden, warum wir das Entgendern des Maskulinums diesen Vorschlägen vorziehen.

Partizip I: Der (oder die) sich im Schafspelz Versteckende

Eine sehr beliebte Lösung, um das generische Maskulinum herumzukommen, ist das Partizip I. Dabei werden aus den "Studenten", aus den "Studentinnen und Studenten" oder aus den "Student*innen" die "Studierenden". Die Idee dahinter ist, dass für das Wort "Studierende" bisher keine Neigung beobachtet wurde, vor allem an Männer zu denken. Als vermeintlich geschlechtsneutrale Alternative wird diese Sprechweise häufig von jenen bevorzugt, die das Problem mit der Geschlechtsbezogenheit des Genderns erkennen.

Allerdings ist das Partizip I ein Wolf im Schafspelz: Es funktioniert nur im Plural geschlechtsneutral. So wie die "Student*innen" in einen "Student" und eine "Studentin" zerfallen, zerfallen die "Studierenden" im Singular zu "ein Studierender" und "eine Studierende". Wenn die deutsche Straßenverkehrsordnung vorschreibt, auf Vorfahrtverzicht nur dann zu vertrauen "wenn man sich mit dem oder der Verzichtenden verständigt hat", handelt sie sich damit alle Nachteile geschlechtsbezogener Sprache ein.

Vor allem aber trägt eine Verwendung des Partizip I in neueren Texten nicht zum Entgendern bestehender Texte oder Zitate bei – wenn neben dem Partizip I weiter gegendert wird, bleiben Aussagen älterer Texte und Zitate, die das generische Maskulinum verwenden, mit dem männlichen Geschlecht verknüpft.

Entgendern nach Phettberg

Neben dem Gendern erlangte letztes Jahr die Sprechweise des Kolumnisten Hermes Phettberg die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit. In seiner Kolumne im Magazin "Der Falter", in der er sein Leben nach mehreren Schlaganfällen thematisiert, verwendet er bereits seit Beginn der 1990er Jahre eine Sprechweise, die im Unterschied zum Gendern geschlechtsneutral sein soll: Statt von "Nothelfern" spricht er von "Nothelfys", anstatt "der Arzt" sagt er "das Arzty".

Die Idee ist, dass bei Wörtern, die auf "er" oder einen Vokal enden, ebenjene Endung weggelassen und durch "y" ersetzt wird (also z. B. "Lehrer" => "Lehry", "Geselle" => "Geselly"). Bei Wörtern ohne "er", die mit einem Konsonanten enden, wird das "y" einfach hinten angehangen (z. B. "Kolumnist" => "Kolumnisty").

Damit entledigt sich diese Sprechweise der meisten Nachteile des Genderns: Da Angehörige aller Geschlechter auch im Singular "Arzty" und "Lehry" genannt werden, enthält diese Sprechweise keinen Geschlechtsbezug. Damit trennt man auch bei Vergleichen und Tautologien nicht mehr nach Geschlecht ("Merkel war neben Kohl das Bundeskanzly mit der längsten Amtszeit"), und greift nicht in die informationelle Selbstbestimmung ein. Auch ist "Bürgymeistykandidaty" deutlich aussprechbarer als "Bürger*innenmeister*innenkandidat*in".

Dennoch bleibt auch beim Entgendern nach Phettberg das Problem, das nur die Sprache von Menschen entgendert wird, die aktiv die Regeln des Entgenderns befolgen; und das dürften noch weniger sein, als die, die sich ums Gendern bemühen. Alte Texte und Zitate bleiben unberücksichtigt, und ob sich die niedlich anmutenden Wortformen mit dem "y" in der Gesellyschaft durchsetzen werden, ist fraglich.

Generisches Femininum

Als Gegenreaktion auf das generische Maskulinum wird auch die Maßnahme diskutiert, von nun an auf ein generisches Femininum umzusteigen. Von dieser These gibt es zwei unterschiedliche Ausprägungen, die in der Bewertung ihrer Folgen sowie in ihrer Philosophie grundsätzlich unterschiedlich verstanden werden müssen.

Das inklusive Femininum

So, wie sich dieser Text für eine geschlechtsneutrale Nutzung, und damit ein Entgendern der suffixlosen Grundformen im Maskulinum einsetzt, gibt es die Forderung, fortan alle Menschen mit der "‑innen"-Endung zu bezeichnen: "Er ist Ärztin", "das Lehrerinnenzimmer". Diese Forderung ist in ihren Folgen insofern ähnlich zu bewerten wie das Entgendern nach Phettberg, dass sie zwar geschlechtsneutral ist (da sie alle Menschen gleich bezeichnet), aber ohne Umstellung der Sprachgewohnheiten aller Menschen keinen Effekt hat, und darüber hinaus weitestgehend ineffektiv im Hinblick auf alte Texte und Zitate ist.

Im Unterschied zum Entgendern nach Phettberg handelt es sich allerdings nicht um eine komplette Wortneuschöpfung; stattdessen werden, wie beim Entgendern des Maskulinums, durchaus Wörter entgendert, die bereits vorher im Sprachgebrauch vorkamen. Der emanzipatorische Effekt, den das Entgendern des Femininmus auf den bisherigen Sprachgebrauch hat, ist allerdings gering: Allenfalls in Fällen, in denen bisherige Texte generisch von "Sekretärinnen" oder "Kindergärtnerinnen" schreiben, profitieren Männer und Nichtbinäre, da sie durch ein geschlechtsneutrales Femininum in solchen Fällen auch gedanklich eingeschlossen würden.

Frauen werden hingegen weiterhin aus den meisten bisherigen Texten und Zitaten, und sobald sich jemand mit Absicht oder aus Versehen nicht an die neue Sprechweise hält, ausgeschlossen.

Das generische Femininum unter Beibehaltung der geschlechtsspezifischen Bedeutung

In bestimmten Kreisen ist auch die Forderung verbreitet, die geschlechtsbezogenen Varianten "Sie ist Ärztin" und "Er ist Arzt" beizubehalten, als generischen Oberbegriff aber die weibliche Form zu etablieren ("Er arbeitet als Arzt in einer Ärztinnenpraxis"). Mit dieser Sprechweise gehen alle Nachteile einher, die auch bisher mit dem generischen Maskulinum unter Beibehaltung der geschlechtsspezifischen "‑innen"-Endung einhergingen – nur, dass diesmal die betroffenen Geschlechter vertauscht werden: Wie vorher Frauen werden Männer nun nicht mehr explizit benannt, und wie vorher Männer werden Frauen nun nicht mehr überall eingeschlossen (weil Männer nun sowohl mit dem Wort "Arzt" als auch "Ärztin" benannt werden können, Frauen aber nur noch als "Ärztin").

Der Fortschritt in puncto Gleichberechtigung beläuft sich also auf 0. Allenfalls als Vergeltungstaktik (mit den Worten Luise Puschs: "Empathietraining für Männer") könnte diese Sprechvariante noch durchgehen, der als einzige konstruktive Konsequenz eine Genugtuung für die bisher Unterjochten folgt. Da diese Sprechweise allerdings, genau wie das bisherige, un-entgenderte generische Maskulinum, für alle Geschlechter diskriminierende Folgen hat, stellt sich die Frage: Wer kann diese Genugtuung auskosten?

Fazit

Die bisher übliche Ausdrucksweise, die – wenn das Geschlecht einer Person bekannt ist – zwischen "Bürger" und "Bürgerin" unterscheidet, im Plural oder bei unbekanntem Geschlecht aber ein generisches Maskulinum verwendet, führt zu Formulierungen, die zwar alle meinen, manche Leser und Zuhörer aber nur an ein Geschlecht denken lassen. Dieses Problem ist allerdings nicht gottgegeben und wohnt nicht dem Wesen der Wörter inne; stattdessen ist es das Ergebnis davon, dass Angehörige des weiblichen Geschlechts mit geschlechtsspezifischen, vom generischen Maskulinum abweichenden Wortformen bezeichnet werden.

Das generische Maskulinum zu vermeiden, umgeht das Problem zwar im Einzelfall, inkludiert Frauen und Nichtbinäre aber in den Großteil des deutschen Sprachgebrauchs nicht – stattdessen repliziert gegenderte Sprache sogar eine Semantik, die Frauen und Nichtbinäre aus dem Großteil des Sprachgebrauchs, der auf generischen Maskulinformen aufbaut, ausschließt. In einzelne Texte, die gendern, sind Frauen und Nichtbinäre dann zwar eingeschlossen – Frauen und Nichtbinären hilft es allerdings deutlich mehr, in die Wörter, die im tatsächlichen Sprachgebrauch bereits vorkommen, eingeschlossen zu werden. Das geht nur dann, wenn sie auch explizit mit diesen Wörtern benannt werden.

Aufgrund der beschriebenen Diskriminierungseffekte, die von geschlechtsspezifischen Bezeichnungen ausgehen, können wir vom Gendern in der Alltagssprache und in den Medien nur abraten. Vielmehr möchten wir dazu aufrufen, Frauen und alle anderen Menschen, die von der geschlechtsspezifischen Konnotation des generischen Maskulinums ausgeschlossen werden, explizit mit den generischen Grundformen zu bezeichnen, um deren Konnotation als "männlich" aufzulösen und allen die Möglichkeit zu geben, sich von der Diskriminierung durch geschlechterbetonende Bezeichnungen zu befreien.